Casio-Mini CM-602

Casio-Mini CM-602

Casio-Mini CM-602

Bevor Casio mit seinen qualitativ guten und hervorragend ausgestatteten wissenschaftlichen Taschenrechnern mit zu den Standardausstattern der weiterführenden Schulen wurde, waren sie Anfang der 70er Jahre aktiv mit daran beteiligt, Taschenrechner zu möglichst günstigen Preisen in Massen an den Mann zu bringen.

Da die Technik zu dieser Zeit noch in den Kinderschuhen steckte, und jedes einzelne Bauteil einen Kostenfaktor darstellte, führte das zu einer Reihe recht kurioser Entwicklungen, vor allem in Form der “Casio-Mini”-Serie, die aus “Taschen"rechnern im Breitformat bestand, deren Rechenleistung recht bescheiden und insbesondere deren Anzeigeeinheit nach heutigen Maßstäben gemessen sehr ungewöhnlich war.

Beim hier beschriebenen Modell CM-602, einem der frühen Exemplare aus der “Casio-Mini”-Serie, wurde beispielsweise eine Anzeigeröhre mit nur sechs Stellen verwendet; zudem konnte dieser Rechner nur mit Ganzzahlen oder mit Zahlen mit fixierten zwei Nachkommastellen arbeiten. Um dennoch zumindest den Rechenbereich über die Millionengrenze zu erweitern, konnten bis zu sechs weitere Stellen (bzw. weitere Nachkommastellen) über eine Taste, die mit einem Pfeil markiert war, eingeblendet werden.

Konstruktion und Gehäuse

Rückseitenansicht. Das Typenschild steht wirklich auf dem Kopf!

Rückseitenansicht. Das Typenschild steht wirklich auf dem Kopf!

Wenn man den Casio CM-602 in Händen hält, muß man aufgrund seiner Form, seiner Größe und seines Gewichts unweigerlich an ein japanisches Transistorradio denken. Diese waren in den 60er und 70er Jahren exakt gleich groß und gleich schwer und besaßen auch nicht selten eine Plastik-Trageschlaufe zum Transportieren am Handgelenk.

Das sehr kompakte, sehr gut verarbeitete Plastikgehäuse mit seinen Aluminum-Applikationen ist typisch japanische Qualität: Nichts wackelt, nichts klappert und alles macht einen sehr haltbaren Eindruck.

Seitenansicht

Seitenansicht

Das Gehäuse besteht aus zwei Hälften, wobei die obere Hälfte mit dem leicht getönen, eher kleinen Displayfenster ohne Probleme nach dem Lösen zweier Schrauben, die in die entsprechenden Gegenstücke aus Metall(!) gehen, abgehoben werden kann.

Die Unterseite beherbergt das Batteriefach, die 6V-Buchse, sowie an den entsprechenden Kabeln angeschlossen die komplette Elektronik. Diese wird nur durch die beiden Gehäusehälften fixiert, läßt sich also bei offenem Gehäuse leicht entfernen.

Tastatur

Die Tastatur besitzt 18 Tasten mit langem Hubweg und ohne Druckpunkt, die aber dennoch stets zuverlässig funktionieren. Lediglich dem Alter, immerhin 35 Jahre, mußte etwas Tribut gezollt werden, indem die inzwischen oxidierten Kontakte mit einem Glasfaserstift gereinigt werden mußten. Seitdem gibt es keinerlei Probleme mehr und man kann sich gut vorstellen, wie angenehm man damit früher arbeiten konnte.

Die Kontakte werden bei dieser Konstruktion über spiralförmig gebogene Aluminiumfedern, die auf Drahtbrücken gedrückt werden, geschlossen. Auf diese Weise kommt die Tastatur ganz ohne weitere Elemente wie Federn aus. Aus welchem Grund zwei Federplatten, eine für die zehn Zifferntasten und eine für die restlichen acht Tasten verwendet werden, ist nicht bekannt.

Innenansicht der Tastatur

Innenansicht der Tastatur

Die Tasten besitzen verschiedene Farben (Ziffern: weiß, Operationstasten: grau und Löschtaste: rot) und sind dadurch sehr gut in ihrer Funktion zu unterscheiden. Eine Taste fällt dabei gleich ins Auge, nämlich die Pfeiltaste. Mit ihr werden, wenn die Anzeigekapazität zur Darstellung des Ergebnisses nicht ausreicht, weitere Stellen eingeblendet.

Links oben auf der Tastatur ist der Nachkommastellen-Schalter integriert, mit dem man den Rechner entweder auf zwei feste Nachkommastellen (“2” am Schalter; “finanzielle” Anzeige) oder auf eine reine Ganzzahlenanzeige (“0” am Schalter) stellen konnte. Das Tastaturmodul ist mit einer Höhe von 1,1mm ohne Tasten ungewöhnlich hoch und deutet auf eine noch recht antiquierte Bauweise hin.

Der CM-602 besitzt links unten seinen Ein/Aus-Schalter, der mit einem kleinen aber sehr nützlichen Detail aufwartet: Wenn der Rechner angeschaltet ist, erscheint links neben dem Schalter ein gut sichtbarer roter Punkt quasi als Hinweis darauf, daß ab jetzt jede Menge Strom verbraucht wird. .

Aufbau

Innenansicht

Innenansicht

Der CM-602 besitzt zwei Platinen, die über 2x6 Drähte miteinander verbunden sind. Die untere Platine dient der Hochspannungserzeugung der 34V Anodenspannung, die obere Platine enthält die Rechnerlogik mit CPU, Displaytreiber, Tastatur und den Anschlüssen der Anzeigeröhre.

im Inneren sind zwei Platinen verbaut

im Inneren sind zwei Platinen verbaut

Aufgrund des damaligen Stands der Technik wurden noch jede Menge Bauelemente benötigt. Kondensatoren, Widerstände, Transistoren, Widerstandsarrays - der Rechner ist voll damit.

Auch hier bietet sich wieder der Vergleich mit einem japanischen Transistorradio an: Diese waren seinerzeit ähnlich vollgestopft wie dieser Rechner.

Chipsatz

Im Casio CM-602 arbeitet ein Hitachi HD32154P als CPU, sowie ein NEC µPD129C als Peripherie. Beide Chips wurden 1973 hergestellt.

CPU und Peripherie

CPU und Peripherie

Display

Display-Röhre von vorne

Display-Röhre von vorne

Die verwendete Anzeigeröhre NEC LD8088 ist noch rund ausgeführt, besitzt einen ungewöhnlich großen Durchmesser von fast 1,7cm bei einer Länge von 6cm und kann sechs Stellen anzeigen, allerdings nur mit einer vergleichsweise bescheidenen Ziffernhöhe von 5mm. Sie wird bereits gemultiplext angesteuert und benötigt daher nur 16 Anschlüsse, deren isolierte und farbig gekennzeichnete Drähte allerdings wahrscheinlich per Hand verlötet werden mußten. 1973 war das gerade noch Stand der Technik, allerdings gab es zu dieser Zeit schon LED-Anzeigemodule, die eine automatische Bestückung zuließen. Flache Anzeigeröhren, die ebenfalls zur Maschinenbestückung geeignet waren kamen erst ein oder zwei Jahre später auf den Markt.

Display-Röhre von hinten

Display-Röhre von hinten

Ungewöhnlich bei dieser Anzeigeröhre ist der Dezimalpunkt: Anders als bei normalen Anzeigeröhren befindet sich nicht bei jeder Ziffer ein Dezimalpunkt, sondern ausschließlich hinter der drittletzten Stelle, so daß auf diese Weise nur zwei Nachkommastellen angezeigt werden können. Eine ungewöhnliche Sparmaßnahme! Wie auch bei anderen Rechnern dieses Types wird hier die Null nur in der unteren Hälfte des Displays dargestellt, was recht gewöhnungsbedürftig ist.

Sämtliche sechzehn Anschlüsse der Röhre werden über dünne, farblich isolierte Drähte herausgeführt. Diese mit der Platine zu verbinden ist nicht ganz unkritisch, denn sollte auch nur einer der Drähte brechen, ist die Röhre unbrauchbar.

Bei dieser Röhre tritt ein Phänomen auf, das in dieser Form noch bei keinem anderen Rechner beobachtet wurde: Beim Einschalten erzeugen die Heizdrähte ein deutlich wahrnehmbares klirrendes Hitzegeräusch, das in etwas schwächerer Form auch beim Ausschalten zu hören ist. Ob und wieweit das Einfluß auf die Lebensdauer der Röhre hat, war nicht festzustellen.

Anzeige der Ziffer 0

Anzeige der Ziffer 0

Rechenleistung

Wie alle vergleichbaren einfachen und anzeigereduzierten Taschenrechner, so ist auch beim Casio CM-602 die Rechenleistung eher bescheiden.

Er beherrscht gerade einmal die vier Grundrechenarten, die mittels direkter Eingabelogik (sofortige Ergebnisberechnung nach jeder Rechenoperation) ausgeführt werden. Einen Zwischenspeicher oder gar einen echten Speicher sucht man hier vergebens.

Der CM-602 besitzt zwei Möglichkeiten der Ergebnisdarstellung: Keine oder zwei Nachkommastellen. Je nach Wahl unterscheiden sich die Ergebnisse und die Weiterverarbeitung der Ergebnisse:

Ohne Nachkommastellen werden bei der Division durch Druck auf die Pfeiltaste bis zu sechs Nachkommastellen angezeigt. Ein Weiterrechnen damit ist allerdings nicht möglich, diese Stellen werden schlichtweg ignoriert (genauso wie jegliche Verwendung des Dezimalpunkts bei der Zahleneingabe). Rechnet man beispielsweise 1 0 0 / 7 = , so erscheint als Ergebnis “14” und bei Verwendung der Pfeiltaste die korrekten sechs Nachkommastellen “285714”. Nimmt man dieses (Zwischen)Ergebnis dann wieder mal 7, so erhält man als Ergebnis “98” und die Pfeiltaste blendet keinerlei Nachkommastellen mehr ein (was ungewöhnlich ist, da sie normalerweise bei ganzen Zahlen “000000” anzeigen würde), d.h. intern wurde tatsächlich nur “147” und nicht “14.2857147” gerechnet. Bei einer Addition, die den Anzeigebereich von sechs Stellen überschreitet, erhält man stets das Ergebnis “0”, und bei jeder Rechnung mit negativen Zahlen wird nur solange mit dem negativen Vorzeichen gerechnet, solange es im Display steht. Dies ist aber nur solange der Fall, bis das Gleichzeitszeichen gedrückt wird. Man ist dann doch einigermaßen überrascht, wenn man ( - 9 ) - 3 = rechnet, als Ergebnis “-12” bekommt und bei der anschließenden Addition von “3” das völlig falsche Ergebnis “15” erhält. Hätte man direkt ( - 9 ) - 3 + 3 , also ohne Zwischenergebnis gerechnet, hätte man den erwarteten Wert “-9” bekommen. Es geht aber noch verrückter: ( - 9 9 9 9 9 ) - 3 + 3 ergibt im Moment des Eintastens des Pluszeichens das verwirrende Zwischenergebnis “100002”, weil das Minuszeichen keinen Platz mehr auf dem Display hat. Das Endergebnis von “-99999” ist aber wieder korrekt. Hätte man nun nur ( - 9 9 9 9 9 ) - 3 = gerechnet, so hätte man das Ergebnis “100002” erhalten und um nichts auf der Welt mehr erfahren, daß es eigentlich eine negative Zahl gewesen wäre

ganzzahliger Modus: 10/7, erster Teil

ganzzahliger Modus: 10/7, erster Teil

ganzzahliger Modus: 10/7, zweiter Teil

ganzzahliger Modus: 10/7, zweiter Teil

Bei der Verwendung zweier Nachkommastellen wird die Genauigkeit in der Division reduziert. Unter Zuhilfenahme der Pfeiltaste ergibt 1 0 0 / 7 = den Wert “14.28571”, also mit einer Nachkommastelle weniger, als bei der Ganzzahldarstellung. Dafür aber ergibt eine anschließende Multiplikation von 7 den doch deutlich genaueren, aber dennoch eher schlecht gerundeten Wert von “99.96”. Also auch hier wurde intern wieder nur mit den Ziffern gerechnet, die im Display Platz hatten, sprich: “14.28 * 7”. Richtig fatal ist, daß bei der Verwendung von zwei Nachkommastellen, der Rechenbereich nach oben lediglich bis 9999.99 geht. 9 9 9 9 + 1 2 3 4 = ergibt dann “0”. Wozu man einen Rechner mit finanziellem Anzeigemodus braucht, wenn man lediglich mit einem Maximalbetrag von Zehntausend (Dollar, Euro, DM, …) rechnen kann, ist schleierhaft. Das “verrückte” Minuszeichen macht in diesem Fall übrigens schon ab “-999.99” Probleme, aber das war auch nicht anders zu erwarten.

Eine weitere Merwürdigkeit ist, daß ab Eingabe der fünften Stelle (die mangels Platz im Display nicht verarbeitet werden kann) das Display und die Tastatur gesperrt werden, genau so, wie es beim Überlauf passiert. Bei der Eingabe erfordert dies große Aufmerksamkeit des Nutzers, ist also nicht unbedingt sonderlich praxistauglich.

10/7, erster Teil

10/7, erster Teil

10/7, zweiter Teil

10/7, zweiter Teil

Die Division durch Null wird korrekt mit einem Fehler angezeigt. Hierbei erscheint sechsmal die Ziffer “0”:

Fehleranzeige

Fehleranzeige

Zusammenfassung

Der Casio Mini CM-602 ist ein entwicklungsgeschichtlich sehr interessantes Modell, das zeigt, mit welchen verqueren Lösungen Casio vor dem großen Durchbruch auf dem Massenmarkt aufwartete, alles im Hinblick darauf, Taschenrechner möglichst preiswert anbieten zu können.

Ohne Zweifel ist dieser Rechner ein Highlight jeder Sammlung, und für die normale Grundschulalgebra ist auch heute seine Rechenleistung noch ausreichend.

Technische Daten

Aufbau
Chipsatz / CPU Hitachi HD32154P
Tastatur 18 Tasten
Display VFD NEC LD8088, 6 Digits
Anzeigebereich -999999 ... 999999
Stromversorgung Spannung: 6V
Stromverbrauch: 0.5W
Batterien: 4xAA
Netzgerät: AD-4145
funktionale Ausstattung
Funktionen + - * /
Eingabelogik (Klassifizierung) ALG (DCA)
Rechenergebnisse
Berechnung von "1 + 0.000" 1 
Berechnung von "0/0" Fehleranzeige  
Objekt-Details
Baujahr 1973
Seriennummer 781872
Kaufpreis (1973) US-$ 59.95